David Lee

Früher mal cool

Elektroschrott des Tages: Wecker

(erschienen auf DigitalLiving.ch, 27.7.2011)

Unser investigativer Journalist berichtet live von den Müllhalden der Warenhäuser. Heute mit sogenanntem Neuschrott.

Kontaktanzeigen von Frauen beginnen bekanntlich mit den Worten: «Gibts eigentlich keine guten, richtigen Männer mehr?» Wenn ich eine Kontaktanzeige für die Rubrik «Er sucht Wecker» schreiben müsste, würde ich stattdessen fragen: «Gibts eigentlich keine guten, richtigen Wecker mehr?»

Sodann würde ich meine Vorstellungen von meinem Traumwecker ausbreiten: Er ist von der alten Schule. Ein richtiger Wecker ist sicher kein Handy, ist noch nicht mal digital. Er hat noch richtige Zeiger. Und er sieht gut aus, nämlich wie ein richtiger Wecker. Auch nicht zu vergessen: Er ist zuverlässig und gut gebaut. Er hat eine gewisse Durchsetzungskraft.

Nun bekommt man aber in den Warenhäusern dieser Welt nur noch chinesischen Billigstquark für 7 Franken. Da steht dann zum Beispiel gross M-Budget auf dem Zifferblatt, danke auch für den netten Hinweis, ich hätte es sonst fast nicht gemerkt. Diese potthässlichen Wecker werden gestellt, indem man an einem lotterigen Plastikteil zieht, worauf sich dieses aus der Halterung löst und auf den Boden fällt. Um den Ton abzuschalten, muss man auf eben dieses Teil drücken, was dann aber ein bisschen schwierig ist. Woher ich das alles weiss? Aus dem Laden, selbst recherchiert! Da läutet also der Wecker, ich stehe da mit dem kaputten Plastikteil in der Hand. Zuerst unauffällig leise, bibi...bibi... dann lauter, schneller. Bibibibi... bibibibi... Schliesslich: BIBIBIBIBIBIBIBIBIBIBI!!! Bevor sich alle mit vorwurfsvollem Blick zu mir umdrehen, schnell die Batterie herausgenommen und verkehrt eingesetzt. Zack! Dann das abgebrochene Teil unauffällig draufgewurstelt und noch unauffälliger aus dem Laden herausspaziert.

Typischer «moderner» Wecker

Ein anderes Exemplar ist genau so hässlich, hat aber eine andere Krankheit: Auf den Kopf gestellt, folgen die Zeiger den Gesetzen der Schwerkraft und purzeln nach unten. Nicht, dass ich einen Wecker ständig auf den Kopf stellen müsste, aber das ist kein gutes Omen. Wenn ich an dieser Stelle das Kontaktanzeigen-Thema wieder aufgriffe, würden sich daraus Bemerkungen ergeben, die sich nicht zur Veröffentlichung eignen. Dieser Wecker kann wahrscheinlich keine andere Uhrzeit anzeigen als halb sieben, Ladenschluss. Dafür hat er einen Sekundenzeiger, der dauernd rödelt.

Ich muss gestehen, ich war einigermassen empört, dass es die Menschheit nicht fertig bringt, einen brauchbaren Gebrauchsgegenstand anzubieten, den man vor 50 Jahren problemlos kaufen konnte. Irgend etwas stimmt nicht mit der Theorie, dass sich auf dem freien Markt immer die besten Produkte durchsetzen.

Die Lösung

Schliesslich kaufte ich mir auf der Internetbörse meines Vertrauens einen alten Wecker aus der Zeit, als es noch gute, richtige Wecker gab. Dieser Wecker tickt richtig. Er klingelt schön. Und er sieht schön aus. Eine Schweizer Uhr, Schweizer Qualität, Jahrgang 1960. Fast hätte ich nach dem ersten Klingeln stehend im Bett und mit Hand auf der geschwellten (Arm-)Brust die Nationalhymne gesungen.

 Das Ding muss von Hand aufgezogen werden, braucht dafür auch keinen Strom. Wir reden hier nicht vom Stand-by, lieber homo digitalis, sondern vom Betrieb. Und bei etwas, das 50-100 Jahre hält, relativieren sich auch die Energiekosten der Herstellung, im Gegensatz zu den Smartphones, die alle zwei Jahre schon wieder zu wenig smart sind.

Wecker der alten Schule

Kurz: Dieser Wecker ist grüner als jeder Granny Smith. Grün leuchten auch die radioaktiven Zeiger und das Zifferblatt im Dunkeln. Es gibt ja zwei Sorten von Radioweckern: Die, die UKW empfangen, und die, die strahlen wie die Finalistinnen einer Misswahl. Meiner gehört natürlich zur zweiten Sorte.

Aktuelle Studien aus meinem ratioaktiven Hirn zeigen allerdings, dass der Wecker gesundheitlich unbedenklich ist. Denn Uhren, auf deren Zifferblatt "T Swiss T" steht, verwenden Tritium statt das altbackene Radium. Das ist zwar auch radioaktiv, bringt einen aber nicht gleich um. Tritium wurde später auch verboten, aber das war zu einem Zeitpunkt, als bereits die Gesundheitsfanatiker-Welle mit Jogging-Gruppenzwang, Rauchersperrzonen und biodynamischem Fengshui-Quarzstein-Antistrahlenschwingungspendler-Astrohomöopathie einsetzte.

Bei Manufactum kann man eine ähnliche Version meines Weckers immer noch neu kaufen, allerdings zu einem Preis, der jenseits von Gut und Böse ist.

(Anmerkung: jetzt (2014) nicht mehr. Der Wecker kostete sage und schreibe 529 Franken.)