David Lee

Früher mal cool

Elektroschrott des Monats: Bandraum-Kühlschrank

November 2014

Es war einmal ein Gitarrist in einer Band. Die Rede ist wie immer von mir selbst. Unser Übungsraum war ein Luftschutzkeller im Industriegebiet. Die Vormieter, auch sie eine Musikband, hatten aus akustischen und psychologischen Gründen den Betonbunker in eine Art Wohnzimmer verwandelt: Am Boden lag Spannteppich, die Wände waren mit Holztäfer verkleidet, es gab mehrere Sofas zum Herumlümmeln und eben einen Kühlschrank. Der war schon in den 90er-Jahren ein «älteres Modell» und ein Stromfresser erster Güte. Wenn er sich einschaltete, während die Elektroheizung lief, haute es die Sicherung raus und wir spielten im Dunkeln weiter (die Amps waren seltsamerweise nie am selben Sicherungskreis angeschlossen).

Schon in den Zeiten, als es noch Feen und Kobolde gab, prangte oben im Kühlschrank, wo sich normalerweise das Gefrierfach befindet, ein grosser Eisblock. Dieser setzte mit der Zeit Schimmel an, was aber vorerst niemanden interessierte. Wir lagerten dort weiterhin unser Lagerbier und waren zufriedene Konsumenten.

«Der Schlagzeuger ist meistens der Dümmste der Band», meinte einmal der Schlagzeuglehrer des Schlagzeugers. Unser D(r)ummer platzierte im Kühlschrank ab und zu Fruchtsalate, die er im nahe gelegenen Warenhaus gesammelt hatte, wobei er sich wohl nicht restlos im Klaren darüber war, ob es sich um eine Zwischen- oder Endlagerung handeln sollte. Denn Abfallentsorgung war ein ungelöstes Problem. Man hatte zwar einen 110-Liter-Sack installiert, wusste aber nie, wohin damit, wenn der voll war. Man durfte schon damals nicht mehr einfach so Säcke auf die Strasse stellen und im Industriegebiet gabs keine Container für die Anwohner, weil es keine Anwohner gab – von Erste-Welt-Problemen mit Sackgebühren und amtlich beglaubigten Abfallmarken ganz zu schweigen. Da erstaunt es wenig, dass man den Kühlschrank als Deponie benutzte.

Irgendwann konnte man diesen nicht mehr öffnen, ohne dass man vom heraustretenden Gestank sogleich betäubt wurde. (Wir waren nicht grundsätzlich gegen Betäubungsmittel, bevorzugten aber andere Substanzen.) Wer es wagte, einen Blick hineinzuwerfen, erstarrte vor Entsetzen: Das, was früher einmal ein Fruchtsalat gewesen sein musste, präsentierte sich jetzt als ein Häufchen von winzigen, tiefschwarzen Krümeln. Diese verkümmerten Krümelchen waren in der Lage, erwachsenen Männern grosse Angst einzujagen.

Von da an benutzte zwar niemand mehr den Kühlschrank, aber ausschalten wollte man ihn auch nicht. Dann wäre der ganze Schimmeldreck abgetaut und auf den schönen Spannteppich ausgelaufen. So surrte der Stromfresser sinnlos vor sich hin und schimmelte gegen seine Entsorgung an. Krisensitzungen unter THC-Einfluss führten zu keinem Ergebnis. Der eine wollte den Schrotthaufen schon gar nicht im Auto haben, nicht mal für fünf Minuten, der andere fand, man müsse das Gerät vor dem Entsorgen abtauen – und wurde sogleich für verrückt erklärt.

In der Folge setzte ein Verdrängungsprozess ein: Wir taten alle so, als ob der Kühlschrank gar nicht da wäre. Weil sich alle an dieses ungeschriebene Gesetz hielten, funktionierte es. Der Kühlschrank der Pandora verschwand aus unserem Bewusstsein – ausser wenn ihn zwischendurch ein ahnungsloser Besucher öffnete und damit Angst, Schrecken und Brechreiz verbreitete.

Schliesslich, nach Jahren, entsorgten wir das Ding aber doch. Ich weiss gar nicht mehr genau, wie das vor sich ging, aber jedenfalls verliessen wir den Tatort nach der (anonymen) Abgabe fluchtartig.

Den Bandraum gibts noch heute, und wir haben immer noch Zutritt, auch wenn wir ihn nur noch selten benützen. Schon seit einiger Zeit steht da ein «neuer» Kühlschrank drin. Als wir uns kürzlich wieder einmal zu einer Jam-Session trafen, durfte ich mich persönlich davon überzeugen, dass das aktuelle Modell schon bald in die Fussstapfen seines Vorgängers treten könnte:

Übrigens: Vor dem Übungsraum stehen aktuell 4 (in Worten: vier) gefüllte 110-Liter-Säcke und warten auf ihre fachgerechte, legale Entsorgung. Ist doch schön, wenn man zwischendurch die guten alten Zeiten wieder aufleben lassen kann. (Und ja, das erste Bild auf dieser Seite zeigt natürlich auch den neuen Kühlschrank.)